Autismus-Diagnostik: Ablauf, Methoden und was Eltern wissen sollten
Wie die Autismus-Diagnostik bei Kindern abläuft und was dabei wichtig ist
„Könnte mein Kind autistisch sein?" – Diese Frage beschäftigt viele Eltern, wenn sie Besonderheiten in der Entwicklung ihres Kindes bemerken. Der Weg zur Klarheit führt über eine professionelle Autismus Diagnostik, die weit mehr umfasst als einen einfachen Test. Die Diagnostik ist ein sorgfältiger, mehrstufiger Prozess, der verschiedene Fachbereiche einbezieht und mehrere Wochen bis Monate dauern kann. Für Eltern ist dieser Weg oft mit Unsicherheit, Hoffnung und vielen Fragen verbunden: Wo finden wir die richtigen Ansprechpartner? Was erwartet unser Kind bei den Untersuchungen? Wie lange dauert der Prozess? Und was bedeutet das Ergebnis für unsere Familie? Dieser Ratgeber begleitet Sie durch alle Phasen der Autismus Diagnostik, erklärt die eingesetzten Methoden und gibt praktische Tipps, wie Sie Ihr Kind unterstützen können. Denn eine fundierte Diagnose ist der erste Schritt zu passender Förderung und einem besseren Verständnis der individuellen Bedürfnisse Ihres Kindes.
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Erste Anzeichen: Wann sollte eine Autismus Diagnostik erwogen werden?
Eltern bemerken oft als Erste, wenn sich ihr Kind anders entwickelt als Gleichaltrige. Die Anzeichen, die eine Autismus Diagnostik nahelegen, können bereits im Säuglings- und Kleinkindalter sichtbar werden, werden aber häufig erst im Kindergartenalter als auffällig erkannt. Typische frühe Hinweise sind fehlendes oder reduziertes Interesse an anderen Menschen, auch an den Eltern. Während neurotypische Babys Gesichter intensiv anschauen und auf soziale Interaktion reagieren, zeigen manche autistische Säuglinge weniger soziales Lächeln oder Interesse am gemeinsamen Spiel. Die Sprachentwicklung kann ausbleiben, verzögert sein oder ungewöhnliche Muster aufweisen – etwa durch echolalisches Wiederholen von Sätzen oder die Verwendung von „du" statt „ich". Auch der Blickkontakt ist häufig reduziert oder wird als unangenehm empfunden. Das Kind reagiert möglicherweise nicht auf seinen Namen, selbst wenn keine Hörprobleme vorliegen. Besonders auffällig ist oft das fehlende gemeinsame Aufmerksamkeitsverhalten: Das Kind zeigt nicht auf interessante Dinge, um die Aufmerksamkeit anderer darauf zu lenken, und folgt nicht dem Zeigen anderer Personen.
Repetitive Verhaltensweisen und Spezialinteressen als Hinweise
Neben den sozialen und kommunikativen Auffälligkeiten zeigen viele Kinder mit Autismus repetitive, sich wiederholende Verhaltensweisen. Dazu gehören motorische Stereotypien wie Händeflattern, Schaukeln des Körpers, Drehen um die eigene Achse oder das stundenlange Drehen von Rädern an Spielzeugautos. Manche Kinder reihen Objekte immer wieder in bestimmten Mustern auf, sortieren nach Farben oder Größen oder beschäftigen sich obsessiv mit bestimmten Themen. Diese Spezialinteressen können sehr ungewöhnlich sein – etwa eine intensive Faszination für Waschmaschinen, Staubsauger, Verkehrsschilder oder Wetterphänomene. Im Spiel fällt auf, dass das Kind oft nicht „so tut als ob" spielt, sondern funktional oder repetitiv mit Gegenständen hantiert. Rollenspiele, bei denen soziale Situationen nachgespielt werden, entwickeln sich nicht oder nur sehr begrenzt.
Sensorische Besonderheiten im Alltag
Ein häufig unterschätzter Aspekt, der eine Autismus Diagnostik nahelegen sollte, sind ausgeprägte sensorische Besonderheiten. Viele autistische Kinder reagieren extrem empfindlich auf bestimmte Sinnesreize. Sie halten sich die Ohren zu bei Geräuschen, die andere nicht als störend empfinden, etwa beim Staubsaugen, Föhnen oder in lauten Umgebungen wie Einkaufszentren. Manche Kinder verweigern bestimmte Kleidungsstücke wegen der Textur, können Etiketten nicht ertragen oder akzeptieren nur ganz bestimmte Stoffe. Bei der Nahrung zeigen sich oft extreme Einschränkungen – das Kind isst nur wenige akzeptierte Lebensmittel und reagiert auf neue Texturen, Gerüche oder Farben mit starker Abwehr. Umgekehrt können manche Kinder unterempfindlich sein: Sie spüren Schmerzen weniger intensiv, suchen starken Körperkontakt oder Druck, lecken oder riechen an Gegenständen intensiv. Diese sensorischen Verarbeitungsbesonderheiten beeinträchtigen den Alltag erheblich und sind oft eines der belastendsten Symptome für Familien.
Schwierigkeiten mit Veränderungen und rigide Routinen
Kinder, bei denen eine Autismus Diagnostik in Betracht gezogen werden sollte, zeigen häufig ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und gleichbleibenden Abläufen. Schon kleine Veränderungen im Tagesablauf – ein anderer Weg zum Kindergarten, veränderte Möbelstellung, ein unangekündigter Besuch – können zu heftigen emotionalen Reaktionen führen. Diese „Meltdowns" sind keine Trotzreaktionen, sondern Ausdruck von Überforderung und der Unfähigkeit, mit dem Unerwarteten umzugehen. Das Kind besteht möglicherweise darauf, dass bestimmte Rituale exakt eingehalten werden: Das Gutenachtlied muss in einer bestimmten Reihenfolge gesungen werden, das Essen muss immer auf demselben Teller serviert werden, die Kleidung in einer festgelegten Reihenfolge angezogen werden. Diese Rigidität dient der inneren Sicherheit und Kontrolle in einer Welt, die als chaotisch und überwältigend empfunden wird.
Die Rolle der Früherkennungsuntersuchungen beim Kinderarzt
Die U-Untersuchungen beim Kinderarzt sind wichtige Gelegenheiten zur Früherkennung von Entwicklungsauffälligkeiten. Kinderärzte achten bei diesen Vorsorgeuntersuchungen gezielt auf Entwicklungsmeilensteine und typische autistische Merkmale. Besonders die U6 (10-12 Monate), U7 (21-24 Monate) und U7a (34-36 Monate) sind entscheidende Zeitpunkte. Bei der U6 wird beobachtet, ob das Kind Blickkontakt aufnimmt, auf seinen Namen reagiert und soziale Interessen zeigt. Bei der U7 liegt der Fokus auf Sprachentwicklung, gemeinsamem Aufmerksamkeitsverhalten und Spielverhalten. Die U7a prüft unter anderem, ob das Kind einfache Rollenspiele zeigt und mit anderen Kindern interagiert. Viele Kinderärzte setzen mittlerweile standardisierte Screening-Fragebögen wie den M-CHAT (Modified Checklist for Autism in Toddlers) ein, der mit 20 Fragen gezielt nach autismustypischen Verhaltensweisen fragt. Ein auffälliges Screening-Ergebnis bedeutet nicht automatisch eine Autismus-Diagnose, ist aber ein wichtiger Hinweis, dass eine weiterführende Autismus Diagnostik sinnvoll sein könnte.
Erste Anlaufstelle: Das Gespräch mit dem Kinderarzt vorbereiten
Wenn Sie als Eltern Entwicklungsbesonderheiten bei Ihrem Kind bemerken, ist der Kinderarzt die erste und wichtigste Anlaufstelle. Damit das Gespräch möglichst konstruktiv verläuft, sollten Sie sich gut vorbereiten. Notieren Sie sich im Vorfeld konkrete Verhaltensbeispiele statt pauschaler Aussagen wie „mein Kind ist anders". Beschreiben Sie spezifische Situationen: „Tim reagiert nicht, wenn ich ihn rufe, obwohl sein Gehör getestet wurde und in Ordnung ist", „Emma spielt seit Monaten ausschließlich damit, Spielzeugautos aufzureihen, und wird wütend, wenn jemand sie dabei stört", „Leon spricht mit drei Jahren nur wenige Einzelworte und zeigt nicht auf Dinge, die er haben möchte". Hilfreich sind auch kurze Videoaufnahmen von typischen Alltagssituationen – etwa beim Spielen, bei Mahlzeiten oder in sozialen Situationen. Je konkreter Ihre Beobachtungen, desto besser kann der Kinderarzt einschätzen, ob eine Überweisung zur weiterführenden Diagnostik angezeigt ist. Erwähnen Sie auch, in welchen Bereichen Ihr Kind gut zurechtkommt, denn ein ausgewogenes Bild hilft bei der Beurteilung.
Überweisung zu spezialisierten Diagnostikstellen
Hält der Kinderarzt eine weiterführende Autismus Diagnostik für sinnvoll, erfolgt eine Überweisung an spezialisierte Einrichtungen. In Deutschland gibt es verschiedene Anlaufstellen: Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) sind interdisziplinäre Einrichtungen, die an Kliniken angegliedert sind und umfassende Entwicklungsdiagnostik durchführen. Sie sind auf komplexe Entwicklungsstörungen spezialisiert und arbeiten mit einem Team aus Ärzten, Psychologen, Therapeuten und Sozialpädagogen. Kinder- und jugendpsychiatrische Praxen oder Ambulanzen mit Autismus-Schwerpunkt bieten ebenfalls qualifizierte Diagnostik. Spezialisierte Autismus-Ambulanzen, oft an Universitätskliniken, haben besondere Expertise für Autismus-Spektrum-Störungen, haben aber häufig lange Wartelisten. Auch Autismus-Therapiezentren bieten teilweise Diagnostik an. Die Wartezeiten variieren regional sehr stark – in Ballungsgebieten kann es 6-12 Monate oder länger dauern, in ländlichen Regionen manchmal nur wenige Wochen. Erkundigen Sie sich bei mehreren Stellen und lassen Sie Ihr Kind gegebenenfalls auf mehrere Wartelisten setzen. Die Überweisung sollte den Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung explizit erwähnen, damit die richtige Fachabteilung zuständig ist.
Die Wartezeit sinnvoll nutzen
Die oft lange Wartezeit bis zum ersten Termin kann für Eltern belastend sein, lässt sich aber sinnvoll nutzen. Dokumentieren Sie in dieser Zeit weiterhin auffälliges Verhalten Ihres Kindes – führen Sie ein Entwicklungstagebuch mit konkreten Situationen, Reaktionen und Verhaltensmustern. Sammeln Sie Berichte aus Kindergarten, Krippe oder von anderen Betreuungspersonen. Machen Sie Videoaufnahmen von typischen Situationen: beim Spielen mit anderen Kindern, bei Übergängen und Veränderungen, bei sensorischen Reaktionen oder beim Zeigen von Spezialinteressen. Diese Dokumentation ist für die spätere Diagnostik sehr wertvoll. Nutzen Sie die Wartezeit auch, um sich zu informieren: Lesen Sie seriöse Informationen über Autismus von Fachverbänden wie Autismus Deutschland e.V. oder wissenschaftlich fundierten Quellen. Der Austausch in Elterngruppen – online oder vor Ort – kann emotional entlasten und praktische Tipps für den Alltag liefern. Vermeiden Sie jedoch, sich in Internetforen zu verlieren oder vorschnelle Selbstdiagnosen zu stellen. Jedes Kind ist individuell, und nur eine professionelle Autismus Diagnostik kann Klarheit bringen.
Der gesamte Prozess der Autismus Diagnostik erstreckt sich typischerweise über 3-6 Monate vom ersten Termin bis zur abschließenden Diagnosestellung, kann aber auch länger dauern. Die reine Untersuchungszeit beträgt meist 6-10 Stunden, verteilt auf mehrere Termine über Wochen. Zwischen den einzelnen Terminen liegen oft längere Pausen, da Berichte aus Kindergarten oder Schule eingeholt, Fragebögen ausgewertet und interdisziplinäre Fallbesprechungen durchgeführt werden müssen. Die Wartezeit bis zum ersten Termin ist dabei nicht eingerechnet und kann regional zwischen wenigen Wochen und über einem Jahr variieren. Bei dringendem Bedarf – etwa wenn das Kind massiv leidet oder akute Krisensituationen bestehen – kann manchmal eine vorläufige Einschätzung schneller erfolgen. In solchen Fällen sollten Eltern dies beim Erstkontakt deutlich kommunizieren.
Das diagnostische Erstgespräch: Die ausführliche Anamnese
Die eigentliche Autismus Diagnostik beginnt mit einem sehr ausführlichen Anamnesegespräch, das meist 1,5 bis 3 Stunden dauert und in der Regel ohne das Kind stattfindet. Die Diagnostiker erfragen systematisch die gesamte Entwicklungsgeschichte: Wie verliefen Schwangerschaft und Geburt? Gab es Komplikationen? Wann erreichte das Kind welche Entwicklungsmeilensteine – wann begann es zu lächeln, zu sitzen, zu laufen, erste Worte zu sprechen? Besonderes Augenmerk liegt auf der sozialen Entwicklung: Wie zeigte das Kind Bindung zu den Eltern? Reagierte es auf seinen Namen? Entwickelte es gemeinsame Aufmerksamkeit, indem es auf interessante Dinge zeigte oder dem Zeigen anderer folgte? Wie entwickelte sich das Spielverhalten – spielte es symbolisch, also „so tun als ob"? Wie interagierte es mit anderen Kindern? Die Fachleute fragen auch detailliert nach kommunikativen Fähigkeiten: Wann kamen die ersten Worte, wie entwickelte sich die Sprache, gibt es Echolalie (Wiederholen von Gehörtem), wie nutzt das Kind Sprache im Alltag? Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf repetitiven Verhaltensweisen und Spezialinteressen: Welche stereotypen Bewegungen zeigt das Kind? Welche besonderen Interessen verfolgt es? Wie reagiert es auf Veränderungen im Alltag? Auch sensorische Besonderheiten werden ausführlich besprochen: Wie reagiert das Kind auf verschiedene Sinnesreize wie Geräusche, Licht, Berührungen, Gerüche oder Geschmäcker? Dieses Erstgespräch bildet eine unverzichtbare Grundlage für die weitere Diagnostik und sollte von den Eltern so detailliert und ehrlich wie möglich beantwortet werden.
Fragebögen und Screening-Instrumente für Eltern und Erzieher
Ergänzend zum Anamnesegespräch werden bei der Autismus Diagnostik verschiedene standardisierte Fragebögen eingesetzt. Diese erfassen autismustypische Verhaltensweisen systematisch und ermöglichen eine Einordnung im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern. Der Social Responsiveness Scale (SRS) ist ein verbreitetes Instrument, das soziale Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen erfasst – von sozialer Wahrnehmung über soziale Kommunikation bis zu repetitiven Verhaltensweisen. Der SRS wird sowohl von Eltern als auch von Erziehern oder Lehrern ausgefüllt, um das Verhalten in verschiedenen Kontexten zu erfassen. Der Social Communication Questionnaire (SCQ) screent gezielt nach Autismus-Merkmalen und wird häufig als Vorabinstrument eingesetzt. Für jüngere Kinder kommt der M-CHAT-R/F zum Einsatz, der bereits ab 16 Monaten verwendbar ist. Auch der Childhood Autism Rating Scale (CARS) kann bei der Schweregradeinschätzung helfen. Wichtig ist: Diese Fragebögen allein stellen keine Diagnose, sondern liefern zusätzliche Informationen, die zusammen mit anderen Untersuchungsergebnissen bewertet werden. Eltern sollten die Fragebögen sorgfältig und realistisch ausfüllen – nicht beschönigen, aber auch nicht übertreiben. Bei Unsicherheit über eine Frage ist es besser, dies zu vermerken, als zu raten.
Das Herzstück der Diagnostik: ADOS-2 Beobachtungsverfahren
Das wichtigste und aussagekräftigste Instrument in der modernen Autismus Diagnostik ist die ADOS-2 (Autism Diagnostic Observation Schedule, 2. Auflage). Die ADOS-2 ist ein standardisiertes, halb-strukturiertes Beobachtungsverfahren, das als Goldstandard gilt. Es gibt fünf verschiedene Module, die je nach Alter und Sprachniveau des Kindes ausgewählt werden – von nichtsprechenden Kleinkindern bis zu sprachgewandten Erwachsenen. Die Untersuchung dauert 40-60 Minuten und findet in einem Untersuchungsraum statt, der mit verschiedenen Spielmaterialien und Aufgaben ausgestattet ist. Für das Kind fühlt sich die Situation meist wie eine besondere Spielsituation an. Der geschulte Diagnostiker schafft verschiedene standardisierte Situationen, die soziale Interaktion, Kommunikation und Spielverhalten herausfordern. Dabei wird beobachtet und codiert, wie das Kind reagiert: Nimmt es Blickkontakt auf? Teilt es Freude oder Interesse mit dem Untersucher? Wie reagiert es auf soziale Annäherungen? Zeigt es symbolisches oder kreatives Spiel? Wie nutzt es Sprache? Zeigt es repetitive oder ungewöhnliche Verhaltensweisen? Die Beobachtungen werden nach einem detaillierten Bewertungssystem eingeordnet, das eine sehr differenzierte Beurteilung ermöglicht. Die ADOS-2 hat eine hohe diagnostische Genauigkeit und ist kulturübergreifend einsetzbar. Ein geschulter ADOS-Diagnostiker durchläuft eine spezielle Zertifizierung und muss regelmäßige Reliabilitätstestungen absolvieren, um die Qualität zu sichern.
Das strukturierte Elterninterview: ADI-R im Detail
Neben der direkten Verhaltensbeobachtung in der ADOS-2 ist das ADI-R (Autism Diagnostic Interview-Revised) das zweite zentrale Instrument der Autismus Diagnostik. Das ADI-R ist ein hochstrukturiertes, sehr detailliertes Interview mit den Eltern oder Hauptbezugspersonen, das 2-3 Stunden dauert. Es umfasst über 90 Fragen, die systematisch die Entwicklungsgeschichte und aktuelle Verhaltensweisen in den drei Hauptbereichen autistischer Symptomatik erfassen: soziale Interaktion, Kommunikation und repetitive, stereotype Verhaltensweisen. Das Interview beginnt mit der frühen Entwicklung (4.-5. Lebensjahr) und erfasst dann das aktuelle Verhalten. Die Fragen sind sehr spezifisch: „Hat Ihr Kind jemals auf etwas gezeigt, um Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken?" „Bietet Ihr Kind spontan Dinge zum Teilen an?" „Zeigt Ihr Kind ungewöhnliche sensorische Interessen?" Für jede Frage gibt es detaillierte Codieranleitungen, die sicherstellen, dass Verhaltensweisen einheitlich bewertet werden. Das ADI-R ist besonders wertvoll, weil es die Entwicklungsperspektive einbezieht – autistische Merkmale sollten bereits in der frühen Kindheit vorhanden gewesen sein, auch wenn sie damals möglicherweise nicht als problematisch auffielen. Die Kombination aus ADOS-2 (aktuelle Beobachtung) und ADI-R (Entwicklungsgeschichte und Alltagsverhalten) wird als diagnostischer Goldstandard angesehen und ermöglicht eine sehr zuverlässige Autismus Diagnostik.
Entwicklungs- und Intelligenzdiagnostik: Das kognitive Profil verstehen
Ein unverzichtbarer Bestandteil der umfassenden Autismus Diagnostik ist die Erfassung der kognitiven Fähigkeiten und des allgemeinen Entwicklungsstands. Dies dient mehreren Zwecken: Erstens hilft es, den individuellen Förderbedarf realistisch einzuschätzen. Zweitens ist es wichtig für die Abgrenzung zu anderen Entwicklungsstörungen. Drittens zeigen autistische Kinder oft ein ungleichmäßiges Entwicklungsprofil mit deutlichen Stärken in manchen Bereichen und Schwächen in anderen – dieses Profil zu kennen ist für die Förderplanung essenziell. Bei Säuglingen und Kleinkindern werden Entwicklungstests wie die Bayley Scales of Infant Development eingesetzt, die motorische, kognitive und sprachliche Entwicklung erfassen. Die Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik ist ein weiteres etabliertes Verfahren für die frühe Kindheit. Bei Kindergarten- und Schulkindern kommen Intelligenztests zum Einsatz, am häufigsten die WISC-V (Wechsler Intelligence Scale for Children, 5. Auflage), die verschiedene kognitive Bereiche untersucht: Sprachverständnis, visuell-räumliche Verarbeitung, fluides Denken, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit. Autistische Kinder zeigen häufig ein heterogenes Profil – etwa gute visuell-räumliche Fähigkeiten bei schwächerem Sprachverständnis, oder umgekehrt. Manche haben besondere Stärken im Detailwissen oder logischen Denken, aber Schwierigkeiten bei Aufgaben, die soziales Verständnis oder flexible Problemlösung erfordern. Diese Testung dauert 1-2 Stunden und wird von Psychologen durchgeführt. Die Ergebnisse sind nicht nur für die Diagnose relevant, sondern auch für spätere schulische Entscheidungen und die Einschätzung, welche Förderung das Kind benötigt.
Sprach- und Kommunikationsdiagnostik in der Tiefe
Die Untersuchung sprachlicher und kommunikativer Fähigkeiten ist ein zentraler Baustein der Autismus Diagnostik, da Kommunikationsschwierigkeiten ein Kernmerkmal der Autismus-Spektrum-Störung sind. Die Sprachdiagnostik wird meist von Logopäden oder Sprachheilpädagogen durchgeführt und umfasst mehrere Ebenen. Zunächst werden die formalen Sprachfähigkeiten erfasst: Wortschatz (expressiv und rezeptiv), Grammatik (Satzbildung, Zeitformen, Artikel), Aussprache und phonologische Bewusstheit. Hier kommen standardisierte Tests wie der SETK (Sprachentwicklungstest für Kinder) oder der WWT (Wortschatztest) zum Einsatz. Besonders wichtig ist aber die Untersuchung pragmatischer Aspekte – also wie das Kind Sprache im sozialen Kontext verwendet. Kann es Gespräche initiieren und aufrechterhalten? Wechselt es angemessen zwischen Sprecher- und Zuhörerrolle? Passt es seine Sprache dem Gegenüber an? Versteht es Ironie, Metaphern, mehrdeutige Aussagen? Nutzt es Sprache, um Gefühle auszudrücken oder soziale Beziehungen zu gestalten? Diese pragmatischen Fähigkeiten sind bei autistischen Kindern häufig beeinträchtigt, selbst wenn formale Sprachfähigkeiten gut entwickelt sind. Bei nichtsprechenden Kindern wird untersucht, welche alternativen Kommunikationsformen genutzt werden: Zeigt das Kind kommunikative Intentionen durch Gesten, Blicke oder Führen der Hand? Nutzt es Bildkarten, Gebärden oder elektronische Kommunikationshilfen? Die Sprachdiagnostik liefert wichtige Informationen für die Therapieplanung – etwa ob Logopädie sinnvoll ist und mit welchem Schwerpunkt.
Differenzialdiagnostik: Abgrenzung zu anderen Entwicklungsstörungen
Ein unverzichtbarer Teil jeder sorgfältigen Autismus Diagnostik ist die Differenzialdiagnostik – also die Abgrenzung zu anderen Störungen oder Erkrankungen, die ähnliche Symptome hervorrufen können. Viele Entwicklungsauffälligkeiten können autismusähnlich wirken, ohne dass tatsächlich eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegt. ADHS kann durch Impulsivität und Aufmerksamkeitsprobleme zu sozialen Schwierigkeiten führen, die Grundmechanismen sind aber andere. Sprachentwicklungsstörungen können soziale Probleme verursachen, weil das Kind Schwierigkeiten in der Kommunikation hat – hier muss genau unterschieden werden, ob primär die Sprachfähigkeiten oder die soziale Motivation beeinträchtigt ist. Eine allgemeine Intelligenzminderung geht oft mit verzögerter sozialer Entwicklung einher, das Entwicklungsprofil unterscheidet sich aber von Autismus. Bindungsstörungen durch frühe Traumata oder Vernachlässigung können zu sozialem Rückzug und auffälligem Verhalten führen – hier ist die Entwicklungsgeschichte entscheidend. Angststörungen, insbesondere selektiver Mutismus, müssen ausgeschlossen werden. Auch sensorische Verarbeitungsstörungen ohne Autismus sind möglich. Deshalb gehören zur umfassenden Diagnostik auch Seh- und Hörtests, neurologische Untersuchungen und manchmal genetische Abklärungen. Ein EEG (Elektroenzephalogramm) wird bei Verdacht auf Epilepsie durchgeführt, die bei 20-30% der autistischen Kinder auftritt. Genetische Untersuchungen sind angezeigt, wenn zusätzliche körperliche Auffälligkeiten bestehen oder wenn die Familiengeschichte auf genetische Syndrome wie Fragiles-X-Syndrom oder Rett-Syndrom hindeutet. Häufig liegen auch tatsächlich mehrere Diagnosen gleichzeitig vor – etwa Autismus und ADHS, oder Autismus und eine Angststörung. Diese Komorbiditäten zu erkennen ist wichtig, da sie jeweils eigene Behandlungsansätze erfordern.
Die Bedeutung der Verhaltensbeobachtung in natürlichen Umgebungen
Während ADOS-2 und Testungen in einer Kliniumgebung stattfinden, ist die Beobachtung des Kindes in seinem natürlichen Umfeld – Zuhause, Kindergarten oder Schule – ein wichtiger ergänzender Baustein der Autismus Diagnostik. Kinder verhalten sich in vertrauter Umgebung oft anders als in der ungewohnten Untersuchungssituation. Manche Kinder sind in der Klinik durch die Neuheit der Situation so fasziniert oder ängstlich, dass typische Verhaltensweisen nicht sichtbar werden. Andere funktionieren in der strukturierten Eins-zu-eins-Situation gut, zeigen aber im Gruppenkontext erhebliche Schwierigkeiten. Deshalb werden häufig Fragebögen an Erzieher oder Lehrer geschickt, die das Kind im Alltag erleben. Der SRS (Social Responsiveness Scale) oder spezifische Beobachtungsbögen erfassen, wie das Kind in der Gruppe interagiert, wie es mit Gleichaltrigen spielt, wie es auf Anforderungen reagiert und wie es unstrukturierte Zeiten wie Freispiel oder Pausen bewältigt. Manche diagnostizierenden Einrichtungen bieten auch Hausbesuche oder Kindergarten-Besuche an, bei denen ein Mitglied des diagnostischen Teams das Kind in seiner gewohnten Umgebung beobachtet. Diese Beobachtungen liefern wertvolle ökologisch valide Daten über das alltägliche Funktionieren des Kindes und ergänzen die standardisierten Untersuchungen. Eltern sollten der Informationsweitergabe zwischen Kindergarten/Schule und diagnostizierender Stelle ausdrücklich zustimmen und die Erzieher oder Lehrer vorab informieren, dass eine Diagnostik läuft und ihre Beobachtungen wichtig sind.
Die Kosten für eine umfassende Autismus Diagnostik werden in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, wenn sie in zugelassenen Einrichtungen durchgeführt wird – also in Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ), kassenärztlichen Praxen, Klinikambulanzen oder anderen nach §116b SGB V zugelassenen Stellen. Eine Überweisung vom Kinderarzt ist Voraussetzung. Die Diagnostik umfasst alle notwendigen Untersuchungen, Tests, Gespräche und den abschließenden Bericht. Bei privaten Autismus-Instituten oder nicht zugelassenen Stellen sollten Eltern unbedingt vorab die Kostenübernahme mit ihrer Krankenkasse klären – hier ist oft ein Antrag auf Kostenübernahme im Einzelfall notwendig, der genehmigt werden muss. Privatversicherte sollten ebenfalls vorab klären, welche Leistungen ihre Versicherung übernimmt. Die Diagnostik an sich ist von therapeutischen Maßnahmen zu trennen – letztere müssen nach erfolgter Diagnose gesondert bei den Krankenkassen oder anderen Kostenträgern beantragt werden.
Die Diagnosestellung: Interdisziplinäre Auswertung und Entscheidungsfindung
Nach Abschluss aller Untersuchungen und Tests erfolgt die interdisziplinäre Auswertung durch das diagnostische Team. Ärzte, Psychologen, Therapeuten und Pädagogen kommen zusammen und besprechen alle erhobenen Befunde: die Ergebnisse von ADOS-2 und ADI-R, die Entwicklungs- und Intelligenztests, die Sprachdiagnostik, die Fragebögen von Eltern und Erziehern sowie alle medizinischen Befunde. Es wird geprüft, ob die diagnostischen Kriterien der ICD-10 oder ICD-11 (beziehungsweise des DSM-5) für eine Autismus-Spektrum-Störung erfüllt sind. Im Abschlussgespräch, zu dem die Eltern (und bei älteren Kindern manchmal auch das Kind selbst) eingeladen werden, werden die Ergebnisse ausführlich besprochen und alle Fragen beantwortet.
Das Abschlussgespräch
Das Abschlussgespräch ist ein entscheidender Moment für Eltern. Wird die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung gestellt, erklären die Diagnostiker, welcher Schweregrad vorliegt, welche Bereiche besonders betroffen sind und wo Stärken liegen. Sie erläutern das individuelle Profil des Kindes und geben konkrete Empfehlungen für Fördermaßnahmen, Therapien und Unterstützung. Eltern sollten dieses Gespräch nutzen, um alle Fragen zu stellen – nehmen Sie sich Zeit und scheuen Sie sich nicht nachzufragen, wenn etwas unklar ist. Hilfreich ist es, sich Notizen zu machen oder eine Vertrauensperson mitzunehmen. Der ausführliche schriftliche Bericht folgt meist einige Wochen später.

Lernen wir uns kennen.
Ein erstes kostenfreies und unverbindliches Telefonat gibt Raum, Fragen zu stellen, Ihre Situation zu schildern und gemeinsam den passenden Weg zu finden. Offen, persönlich und ohne Verpflichtung.
Das Team der Continova Autismustherapie
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